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Pressebericht 26.4.2011

 

25 Jahre Tschernobyl im grenzüberschreitenden Austausch

 

 

Die erste Mahnwache für die Opfer von Tschernobyl und  Fukushima  in Cheb, veranstaltet von den tschechischen Grünen „Strana  zelenych“ und  unterstützt von den Bündnisgrünen aus dem Landkreis Wunsiedel stieß in Tschechien auf großes Medieninteresse. Petr Nemec, der Vorsitzender der Grünen im Bezirk Karlsbad,  sprach über die sinnlosen Opfer in Japan und über die Unbeherrschbarkeit der Atomkraft.  Thomas Kubat aus Cheb zitierte aus einer Rede des grünen Ex-Vizekanzler Tschechiens, Martin Bursik, und verwies auf die Gefahren und unkalkulierbaren Risiken der tschechischen Atomreaktoren Temelin und Dukovany. Im Anschluss an die Mahnwache traf man sich abends zur gemeinsamen Talkrunde „25 Jahre nach Tschernobyl“ in Marktredwitz im Hotel Meister Bär.

 

„Wie war das damals hinter dem eisernem Vorhang im Kreis Cheb“? fragte Kreisrätin Brigitte Artmann die tschechischen Gäste. Petr Nemec erklärte, er habe die ersten Informationen am 27. April 1986 über die illegale Informationsquelle ARD und ZDF erhalten. Erst nach 14 Tagen kamen sehr vage Informationen über die staatlichen tschechoslowakischen Medien.

Renate aus Cheb hatte damals eine kleine Tochter und kann sich erinnern, dass sie nicht nach draußen gegangen ist, weil sie die Atmosphäre damals als „irgendwie dunkel“ empfand, obwohl strahlendes Wetter war. Die Nachrichten waren diffus, erst nach einem halben Jahr habe man genauer erfahren, dass etwas passiert sei. Sie waren Pilze sammeln, die seien in diesem Jahr sehr schön groß gewesen.

Astrid war damals in der ehemaligen DDR zu Hause. Es gab keine Informationen über die „Aktuelle Kamera“ des staatlichen Fernsehens der SED. Man redete nicht schlecht über den „großen Bruder“ UdSSR, zu dem die Ukraine damals gehörte.  Gemüse gab es um diese Jahreszeit sowieso nicht. Die SDAG Wismut berichtete erst viel später über den Unfall in der Ukraine. Warnhinweise, keine Pilze zu verzehren, gab es nicht. Karl Bröckl, Stadtrat aus Marktredwitz, erzählte vom früheren Umweltminister Alfred Dick, der nichts Besseres zu tun hatte, als einen Finger in verstrahlte Molke zu stecken und sie zu verzehren. Thomas Hecht erklärte, deshalb habe man damals Milch zu Käse verarbeitet.  So habe man mit dem Zerfall der atomaren Teilchen „gespielt“. Strontium würde sich vermehrt in der Molke sammeln. Karl Bröckl berichtete weiter vom Widerstand gegen die geplante Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf und von den im Fichtelgebirge mit Strontium immer noch hochverstrahlten Pilzen.

Genau wie Nanne Wienands stellte auch Karl Bröckl den Zusammenhang zum Zwischenlager für schwach- und mittelradioaktiven Mitterteich her und rief dazu auf, im Widerstand gegen Atomkraft nicht nach zu lassen und die Bevölkerung immer weiter aufzuklären. Brigitte Artmann berichtete von den Problemen, nach der Katastrophe von Tschernobyl Kleinkinder mit unbelasteter Milch zu versorgen. Auf Anraten des damaligen hessischen Umweltministers Joschka Fischer habe man Trockenmilchreserven gekauft. Maria Drazan erinnerte sich an die ersten Nachrichten über Tschernobyl und betonte, dass es eine furchtbare Zeit gewesen sei. Sie habe die Nachricht  „in der Ukraine brennt ein Atomkraftwerk“ auf einer Fähre in Griechenland erstmals gehört. Bei der Ankunft in Athen hätten sie alle Geschäfte nach unbelasteter Trockenmilch durchsucht für das kleine Kind einer griechischen Freundin. Die Mutter sei in großer Sorge gewesen.

 

Ganz anders die Situation in Polen. Ewa berichtete, Polen sei schon immer misstrauisch gegenüber Russland gewesen. Polen habe sehr schnell  Jodtabletten an Kinder in Kindergärten und Schulen ohne Wissen der Eltern ausgegeben. Sie war damals 22 Jahre alt und wurde angewiesen, sich ihre Jodration in Form einer Ampulle in der Apotheke abzuholen. Sie habe sie dort gleich einnehmen müssen. Es gab realistische Warnungen, kein frisches Gemüse zu verzehren und keine Milch zu trinken.

 

An diese Gesprächsrunde schloss sich eine kurze Bilderreise nach Kiew an. Nanne Wienands hatte dort erst in der vergangenen Woche das Tschernobylmuseum besucht. 140 Kilometer vom havarierten Atomreaktor entfernt, erinnert in der ukrainischen Hauptstadt Kiew außer einigen Denkmälern nur das Museum an die tragischen Ereignisse in Tschernobyl. Die Gäste der Bündnisgrünen konnten ihren Gang durch das Museum auf der Leinwand miterleben. Ein Modell des Atomreaktor, Originalgegenstände, Dokumente und Briefe von damals, Kunstwerke mit denen das Geschehen verarbeitet wurde, und immer wieder erschütternde Bilder zogen die Beobachter in Bann. Am eindrucksvollsten war dabei sicher eine fotografierte interaktive Show, die die Verbreitung der atomaren Wolke über Europa zeigte. Hier wurde sehr klar, dass natürlich auch Tschechien und Polen, Frankreich, Spanien und alle anderen europäischen Staaten betroffen waren.

 

Abschließend berichtete Kreisrätin Brigitte Artmann von einer Fahrt zum tschechischen Atomkraftwerk Temelin. Diese Fahrt geschah in Vorbereitung der großen Temelin-Konferenz im September 2011, die gerade von den Wunsiedler Bündnisgrünen vorbereitet wird. Greenpeace-Fachmann Jan Haverkamp und die grüne Europaabgeordnete Rebecca Harms werden neben zahlreichen Interessierten daran teilnehmen. Artmann verwies einmal mehr auf die kritischen technischen Mängel in diesem Atomkraftwerk. Sollten dort Fehler und Katastrophen wie in Tschernobyl oder Fukushima geschehen, würde der Landkreis Wunsiedel zur verstrahlten Zone mit allen Folgen, wie sie nun aus der Ukraine oder Japan kennt.

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