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Tibet in Selb

"Tashi Delek!" hieß es in dieser Woche bei den Grünen in Selb. Zu Gast war Wolfgang Grader. Grader ist grüner Stadtrat und Fraktionsvorsitzender der grünen Stadtratsfraktion in Bamberg. Und Grader ist auch seit dem Jahre 2000 Bundesvorsitzender der Tibet-Initiative Deutschland, und als solcher mit dem tibetischen Gruß "Tashi Delek" - "Möge es dir wohl ergehen!" engstens vertraut. Im "normalen" Leben ist Grader Hauptschulehrer und Diplomtheologe.
Es gibt viele grüne Verbindungen zu Tibet. Petra Kelly brachte Ende der achtziger Jahre als erste Politikerin das Thema "Tibet" in den Bundestag ein, 1995 schaffte es Antje Vollmer als Bundestagsvizepräsidentin , dass der Dalai Lama, das religiöse und weltliche Oberhaupt der Tibeter, im höchsten deutschen Parlament empfangen wurde.
Wolfgang Grader verstand es in Selb hervorragend, Geschichte, Religion, Politik sowie das Land und das Volk der Tibeter den Zuhörern im Laufe des Abends nahe zu bringen. Immer enger schloss sich der Kreis seines Berichtes um den jetzigen Zustand des Landes, um die jetzige, die aktuelle politische Situation. Das Jahr 2009 ist das sechzigste Jahr seit der Besetzung Tibets durch die Chinesen, und es ist das fünfzigste Jahr seit der Flucht des Dalai Lama aus seinem Land. 1989 - vor zwanzig Jahren - erhielt der Dalai Lama den Friedensnobelpreis. In all diesen Jahren haben Tibeter, Exil-Tibeter und Menschen aus vielen Nationen um die Einhaltung der Menschenrechte in Tibet gekämpft, haben aufmerksam gemacht auf Willkür und Unterdrückung. Aufstände und Unruhen hat es dort gegeben, aber auch viel stilles Leid.
Durch die Olympiade 2008 in China wurde die Problematik des tibetischen Volkes durch die internationale Medienarbeit in den Mittelpunkt gerückt. Nichts drückt die Lage besser aus als der bekannte Satz des Dalai Lama "Wir haben Gäste in unserem Land, aber wir hätten sie gern selbst eingeladen." Tibet erhoffte sich Veränderungen durch die Olympiade, und der internationale Erwartungsdruck auf China war hoch. Die bereits vor der Olympiade begonnenen Gespräche mit der tibetischen Exilregierung verliefen jedoch im Sande. Das letzte Gespräch nach dem Ende der Olympiade war wiederum ergebnislos, die chinesische Regierung erklärte das Ende der Verhandlungen und in Tibet wurden noch stärkere Verschlechterungen deutlich.
 In tibetischen Schulen muss chinesisch gesprochen werden, sonst ist für die Schüler kein Weiterkommen möglich. Die tibetische Sprache wird weitgehend ignoriert. Die Religionsfreiheit ist eingeschränkt, Klöster dienen als Anziehungspunkte für den Tourismus, genauso wie der Potala oder die Sommerresidenz des Dalai Lama, der Palastgarten Norbulingka. Fast alle alten Häuser in den Städten Tibets sind abgerissen und mussten breiten Prachtstraßen und glitzernden Geschäften weichen. Zu unübersichtlich war ihre Lage für die Polizeieinsätze der Besatzer. Zu Tausenden werden täglich Chinesen in Tibet angesiedelt; großzügige Förderprogramme mit Steuererleichterungen und schnellen Beförderungen unterstützen diese Politik. Für die einheimische Bevölkerung bedeutet dies Arbeitslosigkeit und Armut.Die tibetischen Nomaden werden ihrer Weideflächen und ihrer Tiere beraubt und landen in der Regel obdach- und mittellos in den Städten, wo sie bettelnd und unglücklich dem chinesisch geprägten Treiben zusehen müssen. Grader beschrieb eingehend, warum Aufstände und Unruhen häufig in den Monaten Februar und März beginnen. Das tibetische Neujahrsfest "Losar", das in dieser Zeit gefeiert werde, sorge dafür, dass viele Besucher und Mönche in die Hauptstadt Lhasa kommen. Auch für dieses Jahr 2009 werden wieder Zusammenstöße zwischen Tibetern und der chinesischen Polizei befürchtet. In religiöser Hinsicht ist es besonders fatal, dass die Menschen ihrem Oberhaupt, dem Dalai Lama, nicht mehr die gebotene Verehrung darbringen dürfen. Die Einschränkungen in den Klöstern bewirken, dass es nicht mehr so viele Gelehrte gibt wie früher; alles tibetische Kulturgut und die religiösen Grundsätze des tibetischen Buddhismus gehen so verloren. "Wo früher 10.000 Mönche lebten, sind es heute nur noch 400," meinte Grader. Nur wenige Klöster seien nach der zerstörerischen Kulturrevolution der Chinesen inzwischen wieder aufgebaut. Obwohl die Spiritualität des Volkes ungebrochen sei, müsse man doch sehen, dass viele der heiligen Stätten heute aus chinesischer Sicht lediglich eine Bereicherung als touristische Attraktion dastellten.
Der kulturelle Umbruch wird massiv vorangetrieben durch Umerziehungsmaßnahmen für Nonnen und Mönche. Religiöse und politische Äußerungen sind verboten; ein perfides Spitzelsystem trägt dazu bei, dass die Menschen Angst haben. Wer im alltäglichen Leben negativ auffalle, komme in Umerziehungslager oder gleich in eines der großen Gefängnisse, in denen schreckliche Zustände herrschen. Viele der verhafteten und verschwundenen Menschen tauchen nie mehr auf. Die Stimmung im Land ist geprägt von Angst und Unzufriedenheit.
Während nun der Dalai Lama sogar eine Autonomieregelung in Abstimmung mit der chinesischen Verfassung für möglich hält, um mehr Frieden für seine Landsleute und eine konsensfähige Lösung zu erreichen, erklärten die chinesische Regierung den 27. März zum tibetischen Nationalfeiertag "Befreiung der Tibeter". Es bleibt abzuwarten, wie sich eine solche Provokation auswirkt.
Der Abend in Selb brachte mit durchaus auch kontroversen und kritischen Diskussionsbeiträgen eine Menge Licht in die oft mystische Verklärung, die dem Land Tibet anhängt. Um den Druck für eine friedliche Regelung zu verstärken, ruft die Tibet-Initiative Deutschland seit einigen Jahren dazu auf, am 10. März vor den Rathäusern die Tibetflagge zu hissen. In diesem Jahr will man dazu die magische Grenze von 1000 beteiligten Rathäusern und Landratsämtern erreichen. Auch in den Städten und Gemeinden im Landkreis Wunsiedel sollte diese symbolische Aktion Fuß fassen.
Wolfgang Grader, der durch seine vielen Reisen im asiatischen Raum und seine jahrzehntelange Befassung mit der Menschenrechtssituation als profunder Kenner der Situation gilt, wird am 10. Februar 2009 in Baden-Baden sein. Dort wird der Deutsche Medienpreis verliehen - an den Dalai Lama.

 


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